Beziehungsorientierung

Grundsatz der Beziehungsorientierung

Von Dr. Christian Marettek

Erst im letzten Jahrzehnt hat sich dieser Grundsatz in der Managementliteratur voll durchgesetzt:

„Responsible leadership is about building and sustaining trustful relationships to all relevant stakeholders by being servant, steward, architect, change agent, coach and storyteller“, Maak/Pless 2006, Responsible leadership, A relational approach, S. 50.

Dieser psychologische Kern erfolgversprechender (und verantwortungsbewusster) Führungsarbeit wird gerade in den Gesamtdarstellungen der letzten sechs bis acht Jahre übereinstimmend dargestellt.

Erfolgversprechende Führungsarbeit langfristig und beziehungsorientiert ausgerichtet sein und auf gegenseitigem Vertrauen und Wertschätzung zwischen Geführtem und Führendem basieren. Dies gilt sowohl für die nahen Beziehungen (zu den Teammitgliedern) als auch für die eher fernen Beziehungen (z.B. eines Vorstandsmitglieds einer AG zu einzelnen MitarbeiterInnen in einer Zweigstelle). Ein Mindestmaß von Vertrauen ist unverzichtbar, wenn destruktive Einstellungen verhindert und im Ergebnis die Entfaltung des Potentials der Geführten gelingen soll. Vgl. Marettek 2013, Wirksames Management für öffentliche Einrichtungen, S. 139ff.

Beziehungsorientierung im Team

Für die Teamsituation werden die Kernaufgaben der Führung von verschiedenen Verfassern systematisiert. Vgl. Saller/Sattler/MacKenzie 2014, Führen live,S. 23, schlagen hierfür ein sog. „Führungscockpit“ vor: Entwicklung, Steuerung, Delegation, Motivation. Ähnliche Modelle existieren auch u.a. bei Blanchard 2008, Führung, S. 108; zur wissenschaftlichen Einordnung vgl. Steinmann/Schreyögg/Koch 2013, Management, S. 613.

Aus der Fülle der Literatur zur Teambildung sei ein besonders allgemeingültiges Beispiel herausgehoben: Im Abschnitt „Konfliktgeladene Teams in die Zukunft führen“ (Saller/Sattler/MacKenzie 2014, Führen live, S. 31ff) wird eine ausführliche Fallstudie dargestellt. Hier geht es um die Situation eines neuen Abteilungsleiters mit 15 Mitarbeitern in zwei Teams, die infolge der Probleme im TUI-Konzernumbau dem neuen Abteilungsleiter mit erheblichen Emotionen, Aggressionen und Frustrationen begegneten. Hintergrund: Der Konzernumbau hatte bei vielen Kollegen stark veränderte Arbeitsprozesse ergeben (vgl. ebenda S. 37). Zunächst hatte der neue Abteilungsleiter versucht, die Rollen und Aufgaben der beiden Teams durch differenzierte Zielvorgaben von ihm und persönliche Einzelgespräche zu schärfen. Nachdem hierdurch kein Erfolg erzielt wurde und internen Beratungen, auch mit der HR-Abteilung, wurden für jedes Team Teamworkshops – unter Einschaltung eines externen Moderators – durchgeführt und durch ergänzende Einzelgespräche des Abteilungsleiters vertieft (vgl. ebenda S. 38). Im Sinne einer systematischen Teambildung wurden gemeinsam festgelegt:

  • verschiedene Aspekte der Kulturarbeit: die Regeln zur Art der Zusammenarbeit, Kommunikation, Arbeitshaltung und den Rollen und Verantwortlichkeiten (das „Wie“ der Zusammenarbeit, ebenda S. 38)
  • Ergebnisarbeit: Zielvorgaben des Abteilungsleiters, dessen Erwartungen an Abläufe und Ergebnisse und Klärung von Schnittstellen und Expertenrollen (vgl. ebenda S. 39)..

Beziehungsorientierung auch in fernen Beziehungen

Für die eher fernen Beziehungen zwischen oberen Führungskräften und einzelnen Mitgliedern, die dennoch im Interesse der Verbundenheit systematisch gepflegt werden sollten, entsteht derzeit offenbar ein eigenes Teil-Forschungsgebiet:

  • Peter Gräser 2013, Führen lernen, S. 48, fordert hierfür eine „Kultur und Kommunikation der willensstarken Demut“.
  • Weitverbreitet wird empfohlen, dass die Führungskräfte soweit möglich dyadische Beziehungen zu den einzelnen Kollegen entwickeln sollten. Vgl. Sattler/Förster/Saller/Studer 2011, Führen, S. 26 und 89f. Besonders ausführliche, sogar empirisch gestützte Hinweise zum Themenkreis der dyadischen Beziehungen (mit und ohne Vermittlung durch das mittlere Management) finden sich in der psychologischen Dissertation von Antje Willoh 2015, Positiv erlebte Führungsbeziehungen, S. 124ff. und besonders S. 170.
  • Zur Überwindung räumlicher Distanzen im Team (internationale Konzerne) gibt es wertvolle Hinweise bei Saller/Sattler/MacKenzie 2014, Führen live, S. 77ff.

Ähnliche Führungsmuster in unterschiedlichen Bereichen

Interessant sind auch die mittlerweile zahlreichen Hinweise, dass die Führungsarbeit in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen offenbar ähnlichen Gesetzen gehorcht: die menschliche Zusammenarbeit in einem erfolgreichen betrieblichen Team folgt offenbar ähnlichen Gesetzmäßigkeiten wie beispielsweise die Zusammenarbeit

  • in einer erfolgreichen Sportmannschaft (z.B. Fußball)
  • in der familiären Erziehung in einer als gesund erlebten Familie (bzw. in der systemischen Familientherapie)
  • in Extremsituationen, z.B. zur wirksamen Bekämpfung eines Großbrandes
  • in der Jugend- und Entwicklungshilfe.

Faszinierenderweise waren es wohl gerade die zuletzt genannten Problembereiche der Jugend- und Entwicklungshilfe (bzw. die entsprechenden empirischen Forschungsergebnisse), wo Vertrauen gerade wenig existiert, die auch die Managementliteratur nachweislich weiter gebracht haben.

Die empirische Erforschung, wie Vertrauen in der Beziehung zu verhaltensauffälligen Jugendlichen neu begründet und dann weiter aufgebaut werden kann, hat unterschiedliche Managementautoren beeinflusst. Maak und Pless fassen ihre eigenen entwicklungspsychologischen Praxiserfahrungen folgendermaßen zusammen:  „In fact, successful co-learning and development projekts with NGOs or social entrepeneurs can teach leaders how to partner and how to build sustainable relationships“ Maak/Pless 2006, Responsible leadership, A relational approach, S. 49.

Warum bestehen diese Ähnlichkeiten in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen?

In all den unterschiedlichen Formen der menschlichen Zusammenarbeit geht es um eine möglichst wirksame Kombination individueller Kompetenzen (Stärken) – wobei in den genannten gesellschaftlichen Fällen ein jeweils unterschiedliches Gleichgewicht zwischen den leistungsorientierten Zielen (Schnelligkeit, Sorgfalt, Ausdauer, Wirtschaftlichkeit) und den beziehungsorientierten Zielen (Vertrauen, Wertschätzung, Kooperationsbereitschaft, Integrität) gefunden werden muss.

Dieses Gleichgewicht ist von der Führungskraft ständig neu zu finden, damit die Gemeinschaft insgesamt im Konkurrenzkampf erfolgreich ist; Mintzberg 2010, Managen, S. 252,  spricht insoweit m.E. treffend von erfolgreich gemanagten betrieblichen Familien. Vgl. Sprenger 2012, Radikal führen, S. 180 u. 204; Marettek 2013, Wirksames Management für öffentliche Einrichtungen, S. 140.

„Glaubwürdigkeit wird nicht gemacht, sondern entsteht und wächst beim Gegenüber als Aktion oder Reaktion auf ein ehrliches und aufrichtiges Verhalten“, Harms/Mödinger (Hrsg.) 2012, Führungsperspektiven, S. 83.

„Demut hat nichts mit einer falschen Bescheidenheit zu tun. Demut bedeutet vielmehr, den Mut zum Dienen aufzubringen“, Leibinger 2012 in:  Harms/Mödinger (Hrsg.) 2012, Führungsperspektiven, S. 85.

Auch das Lehrbuch Steinmann/Schreyögg/Koch 2013, Management, 7.Aufl., S. 616 ff. und 637, definiert das Führungsgeschehen als Interaktion zwischen zwei Persönlichkeiten mit situativen IdentitätenÄhnlich Blessin/Wick 2014, Führen und führen lassen, S. 41: Es handelt sich um einen zu beobachtenden Interaktionsprozess; dabei ist „Personelle Führung … legitime bestimmende Einflussnahme auf das Handeln von Geführten in schlecht strukturierten Situationen mit Hilfe von und in Differenz zu anderen Einflüssen.“

Die Verantwortung des Managers besteht übrigens nicht nur für die Beziehungsarbeit zu den einzelnen Kollegen, sondern der Manager muss sich auch um die Beziehungen untereinander im Team kümmern! Vgl. Marettek 2013, Wirksames Management für öffentliche Einrichtungen, S. 82.

„Auf der Gruppenebene stellen Manager innerhalb ihrer eigenen Einheiten Teams zusammen und pflegen sie. Wichtig ist, dass Konflikte innerhalb dieser kooperativen Gruppen sowie zwischen ihnen gelöst werden, damit sich die Beteiligten ganz ihrer Arbeit widmen können.“ Mintzberg 2010, Managen, S. 94 (im Original fett hervorgehoben).

Der zitierte Abschnitt steht bei Mintzberg wohlgemerkt in der allgemeinen Beschreibung, was Manager grundsätzlich tun (müssen). Mintzberg zitiert zu dieser Thematik noch mehrere alte Stellungnahmen u.a. von Mary Parker Follett, die als Frau bereits in den 1920er Jahren über gelingende Führung in öffentlichen (!) und privaten Organisationen veröffentlichte (und in den USA jetzt teilweise als „Prophet of Management“ verehrt wird): „Dem Teamleiter obliegt es, die Erfahrungen der Gruppe zu organisieren – mag es sich dabei um die kleine Mannschaft eines Vorarbeiters, um eine Abteilung oder eine ganze Fabrik handeln – um die Kraft der Gruppe zur Entfaltung zu bringen. Der Leiter prägt das Team.“ Parker Folett, Mary, Freedom and Co-ordination, Lectures in Business Organization, London 1949, S. 12, zitiert nach Mintzberg 2010, Managen, S 94.

Raimund Sprenger 2012, Radikal führen, S. 52, betont unter Rückgriff auf den Evolutionsbiologen Nowak, dass die wohl bemerkenswerte Fähigkeit des Menschen im Vergleich zum Primaten nicht etwa die Sprache sei, sondern die Fähigkeit zur Kooperation in einer konkurrenzorientierten Welt: „Bevor der Mensch sprechen kann, kann er gemeinsam planen und handeln“. Sprenger bezieht sich dabei auf Ergebnisse von Michael Tomasello, einem amerikanischen Psychologen, der u. a. am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (Leipzig) forscht. Insoweit seien Unternehmen (Organisationen) „Kooperations-Arenen“ – und die zentrale Fähigkeit des Managers ist die, andere Menschen für ein Miteinander zu gewinnen, damit durch das Zusammenarbeiten echte Synergien entstehen, wobei ein neues Ganzes entsteht, das mehr ist als die Addition der Einzelleistungen; Vgl. Sprenger 2012, Radikal führen, S. 54; Marettek 2013, Wirksames Management für öffentliche Einrichtungen, S. 21.

Simon Hahnzog 2015, Gesunde Führung, Impulse für den Mittelstand, S. 3, legt besonders überzeugend dar, wie bedingungslos wir Menschen auf den Kontakt zu anderen Menschen angewiesen sind – und dass deshalb das Verhalten von MitarbeiterInnen wie von Führungskräften immer auch dem situativen Rahmen zuzuschreiben ist, in dem sie sich bewegen (Hahnzog ist Münchner Psychotherapeut und Berater für das betriebliche Gesundheitsmanagement). Hahnzog betont zutreffend die wechselseitige Beeinflussung der Menschen am Arbeitsplatz: Wir Menschen entwickeln einen Großteil unserer Kompetenzen und unsere Persönlichkeit erst im Austausch mit unserer sozialen Umwelt. Auch Arbeit ist erst durch die Interaktion mit anderen möglich (vgl. ebenda S. 3-4).

Im täglichen Umgang miteinander werden nicht nur wir von den Anderen beeinflusst, sondern wirken umgekehrt auch auf unser Gegenüber: Unsere Verhaltensweisen sind durch Rückkopplungen mit unserer (sozialen) Umwelt gekennzeichnet.
Diese wechselseitige Beeinflussung macht es notwendig, dass wir in eine Interaktion zueinander treten, in einen kommunikativen Austausch. Professionelle Kommunikationsfertigkeit ist daher eine grundlegende Voraussetzung gesunder Führung“ (ebenda S. 4).

Abschließend noch ein Fazit von Max DePree, langjähriger CEO von Miller Furnitures, der nach seiner aktiven Zeit als CEO noch zahlreiche Managementbücher unter der Überschrift „Relational Leadership“ – also etwa „Beziehungsorientierte Führungsarbeit“ – veröffentlichte: „As I get older, I’m more and more convinced of one thing: What really counts in our lives is
not our technical competence, but the quality of our relationships. (…) Developing and maintaining relationships cannot, of course, be reduced to a mere skill or technique. Much like leadership, there’s no strict formula to creating healthy, solid relationships. But it is safe to say that developing and maintaining quality relationships requires time, effort and dedication. Maintaining relationships is an intentional activity.“ Beaton, Catherine, Relationships Matter Most, in: Max DePree Quotes and Questions, http://depree.org/relationships-matter-most (abgerufen am 28.07.2012). Vgl. Marettek 2013, Wirksames Management für öffentliche Einrichtungen, S. 84.