Forschungsergebnisse

Zusammenfassung der Forschungsergebnisse des Projekts „Wirksam führen und dabei sauber bleiben“ (Stand August 2016)

Führungsarbeit als gesellschaftliches Problem

Die FIDES-Projektgruppe hat zunächst eine Gesamtsicht des gesellschaftlichen Hauptproblems „Führungsarbeit in Beruf und Ehrenamt“ angestrebt. Zur Abgrenzung wurde einleitend festgelegt, dass die Hauptfokussierung unseres Projekts auf die Mehrwerte ausgerichtet ist, die durch eine „gesündere“ Führung in Beruf und Ehrenamt gesellschaftlich entstehen könnten.

Eine der Ausgangsfragen unseres Projektes war: Warum steigt der Anteil der psychischen Erkrankungen jährlich, wie die Krankenkassen regelmäßig melden?

Diese Frage ist nach der bislang vorliegenden Fachliteratur von Medizin, Psychologie, Managementforschung und Soziologie zum Beispiel allenfalls in Ansätzen geklärt. Insbesondere der Anteil der Situation am Arbeitsplatz am Gesamtproblem ist weitgehend unbekannt. In den genannten 4 wissenschaftlichen Teildisziplinen laufen erfreulicherweise weitere wissenschaftliche Forschungsprojekte zu diesem Problemkreis. Trotzdem ist insgesamt festzustellen, dass noch viel interdisziplinäre Ursachenforschung zu leisten ist. Auch das was man unter „positiver Psychologie“ zusammenfasst (insbesondere Salutogenese) bezogen auf den Arbeitsplatz und die entsprechenden Führungsfragen in Beruf und Ehrenamt – bedarf auch aus weltweiter Sicht noch intensivere Forschungsanstrengungen. Vor allem geht es darum, wie Höchstleistung im Team ohne die gesellschaftlich unbefriedigenden Nebenwirkungen (wie gesundheitliche Zusammenbrüche, Burn-Out usw.) erreicht werden können.

Das FIDES-Projektteam ist zur Überzeugung gekommen, dass das die Führungsfrage fast jeden Menschen unserer Gesellschaft tangiert und entsprechend die Aus-, Fort- und Weiterbildung im Sinne einer ganzheitlichen Führungs- und Arbeitslehre/-wissenschaft wesentlich verbessert werden sollte. Leitfrage der ganzheitlichen (interdisziplinären) Führungs- und Arbeitslehre, die natürlich auch die spannenden Fragen einer sinnvollen Selbstorganisation beinhalten sollte, könnte nach unserer Einschätzung sein:

Was ist in unserer Gesellschaft ein konstruktives Verhalten am Arbeitsplatz (differenziert nach Führungsrolle und Mitarbeiterrolle)?

Alleine durch entsprechend praxisorientierte Lehr- und Lerneinheiten zum Verhalten am Arbeitsplatz, die im Idealfall ab der gymnasialen Oberstufe bedarfsgerecht in die regulären Ausbildungsinhalte integriert werden könnten, wären durchgreifende Auswirkungen denkbar. Dabei ist der weitverbreitete Versuch, die Führungsthemen in Form von ethischen Themen („Du sollst“) zu kommunizieren, als nicht praxisgerecht abzulehnen.

Die vielschichtigen Ergebnisse des FIDES-Projekts kann man vielleicht am besten in folgendem, heuristisch ausgerichteten Satz zusammenfassen:

Die „kluge“ Führungskraft kümmert sich schon aus Eigeninteresse überdurchschnittlich um ihre Leute, weil nur so Spitzenleistung über längere Zeit wahrscheinlich wird und die Personalressourcen trotzdem erhalten bleiben und gefördert werden können (dieser Lehrsatz könnte im Sinne eines praxisgerechten Leitbilds der interdisziplinären Führungs- und Arbeitslehre interpretiert werden).

Weil es um einen Paradigmenwechsel handelt, sollten nach Einschätzung des FIDES-Projektteams praktisch alle Studiengänge der Hochschulen systematisch ergänzt werden (wie noch ausführlich erläutert wird).

Zur Ursachenforschung Burnout (besser: ganzheitliche gesundheitliche Zusammenbrüche)

Vor dem Hintergrund dass der Burnout-Begriff nicht eindeutig definierbar ist, ist zum damit angesprochenen Problemkreis, warum Menschen so viele Zusammenbrüche erleiden, noch umfassende empirische Ursachenforschung zu leisten. Diese Ursachenforschung sollte sich nach Überzeugung des FIDES-Projektteams empirisch stärker auf „länger andauernde Erkrankungen im Sinne von ganzheitlichen gesundheitlichen Zusammenbrüchen“ konzentrieren.

Ungelöst sind insbesondere die Fragen:

Wie hoch ist der Anteil von „schlechter“ Führung an ganzheitlichen Zusammenbrüchen am Arbeitsplatz?

Wie hoch ist der Anteil psychischer Erkrankungen die durch eine „gesündere“ Führung verhindert werden könnten?

Wie hoch ist der Anteil der Beschäftigen, die durch Konflikte am Arbeitsplatz belastet werden (und in welchem Ausmaß)?

Da es wie gesagt zu diesen wichtigen Fragen bislang kaum belastbare empirische Forschungsergebnisse gibt, hat das FIDES-Projektteam mit Arbeitshypothesen arbeiten müssen, die jeweils durchaus noch empirisch zu überprüfen sind, deren zusammenfassende Betrachtung dennoch bereits wichtige, tendenzielle Zwischenergebnisse ermöglicht (wie sie auch in den Führungsgrundsätzen praxisorientiert zusammengefasst werden).

Arbeitshypothesen zum Themenkreis „Führen an der Leistungsgrenze“

Im FIDES-Projekt wurden zahlreiche Arbeitshypothesen formuliert, wie die Situation am Arbeitsplatz durch konstruktives Verhalten der Führenden (aber auch der Geführten) positiv beeinflusst werden kann:

  • H1: Das Phänomen „ganzheitliche Zusammenbrüche am Arbeitsplatz“ kann durch angemessene Führungsarbeit durchaus in Teilen positiv beeinflusst werden. Es existieren jedoch bislang zu wenige Führungskräfte (insbesondere auf Ebene Teamleiter), die entsprechend sensibilisiert und ausgebildet sind, dass sie eine gewisse Mitverantwortung für die längerfristige Team-Gesundheit übernehmen könnten.
  • H2: Die in der Literatur geforderte, dem Individuum zugewandte Führungspräsenz stellt große Herausforderungen vor allem an die Empathie und die Zeitressourcen der Führenden. Trotz dieser Herausforderungen sollten die entsprechenden Ziele verstärkt an die Führungskräfte (insbesondere ab Teamleiter) kommuniziert werden, damit allmählich ein Bewusstsein für die Mitverantwortung für die Team-Gesundheit besteht. Psychologisch kann diese Aufgabe folgendermaßen zusammengefasst werden: Der wirtschaftlich begründete Leistungsdruck sollte in einer sowohl leistungs- als auch beziehungsorientierten Führungsarbeit im Team so aufgefangen werden, dass sich niemand überanstrengt, dennoch individuelle und kollektive Leistungssteigerungen erreicht werden.
  • H3: Positiv wirkt sich insbesondere aus, wenn persönliche Wertschätzung am Arbeitsplatz erlebt wird und wenn die individuellen Bedürfnisse der Geführten in einer angemessenen Form berücksichtigt werden. Als praxisgerechte Führungshilfe schlägt das FIDES-Team eine übersichtliche Dreiteilung der am Arbeitsplatz besonders relevanten Bedürfnisse vor: Bedeutung/Sinn, Bestätigung und Gemeinschaft.
  • H4: Die Bedeutung von Konflikten im Team – insbesondere als auslösender Einflussfaktor für Zusammenbrüche – dürfte hoch sein und wird bislang in der Managementliteratur wesentlich unterschätzt.
  • H5: Die rechtzeitige Konfliktintervention durch zuständige Teamleiter und/oder andere Vorgesetzte könnte positive Auswirkungen auf die Situation bewirken. Leider fehlt bislang meist ein entsprechendes Bewusstsein bzw. eine fundierte Ausbildung – wie Führungskräfte in souveräner Weise mit den verschiedenen Konfliktarten umgehen können.
  • H6: Die häufig festzustellenden kurzfristigen Job-Wechsel seitens der Angestellten bzw. bei Reorganisationen im Betrieb verhindern häufig ebenfalls, dass sich längerfristige Beziehungen am Arbeitsplatz bzw. eine adäquate Teamintegration bilden können bzw. dass das an sich notwendige intensive Kennenlernen überhaupt möglich ist.
  • H7: Die Qualität der menschlichen Beziehungen im Team dürfte als wichtigste Vorbeugung gegen die Phänomene Zusammenbrüche, Verbitterung und innere Kündigung anzusehen sein. In diesem Zusammenhang dürfte die in größeren Unternehmen und Verwaltungen existierende Verbürokratisierung aller Prozesse – man denke nur an die komplexen Beurteilungs-, Controlling– und Compliance-Systeme großer Konzerne – eher negative Auswirkungen haben.

Was ist das vorläufige Fazit zum „Führen an der Leistungsgrenze“?

Leistungsdruck ist im Regelfall nicht alleine für einen Zusammenbruch ursächlich. Zum Problem wird der Leistungsdruck häufig jedoch dann, wenn – gefördert durch individuelle Prägungen des Betroffenen – die Kollegen- und Chef-Beziehungen am Arbeitsplatz nicht mehr hinreichend ausgleichend wirken können und/oder Konflikte zusätzlich belastend wirken. Hieraus resultiert die große Verantwortung der Teamleiter/Führungskräfte, die gesundheitsgefährdende Kombination von Leistungsdruck und Beziehungsproblemen (am Arbeitsplatz) nicht zuzulassen. Die Teamleiter sind jedoch längst nicht ausreichend ausgebildet, um derartige Signale rechtzeitig wahrnehmen zu können bzw. hierauf adäquat eingehen zu können.

Dazu das vorläufige Fazit von Dr. Marettek: „Wenn man das gesellschaftliche Problem nicht-adäquater Führung wirksam angehen möchte, dann muss das Führungsthema aus der elitären Ecke in die Mitte der Gesellschaft geholt werden, weil es fast jeden angeht und die wachsende Anzahl gesundheitlicher Zusammenbrüche aus gesellschaftlicher Sicht völlig unbefriedigend ist (übrigens auch aus Kosten-Sicht). Gesunde Führung kann weder an die Personalabteilungen noch an das betriebliche Gesundheitsmanagement delegiert werden, sondern sollte in jedem Team erlebbar sein. Dazu braucht es erhebliche Anstrengungen im Aus-, Fort- und Weiterbildungssystem unseres Landes. Alleine durch entsprechend praxisorientierte Lehr- und Lerneinheiten zum Verhalten am Arbeitsplatz, die im Idealfall ab der gymnasialen Oberstufe bedarfsgerecht in die regulären Ausbildungsinhalte integriert werden sollten, wären durchgreifende Auswirkungen denkbar. Dabei ist der weitverbreitete Versuch, die Führungsthemen in Form von ethischen Themen („Du sollst“) zu kommunizieren, als nicht praxisgerecht abzulehnen, weil die Schonung der Personalressourcen unbestritten ein im Kern eigennütziges Ziel jedes Teamleiters ist bzw. sein sollte.“

Wie könnte das deutsche Bildungssystem entsprechend ergänzt werden?

Wie könnten praxisorientierte Lehr- und Lerneinheiten zum Führungsverhalten am Arbeitsplatz in das deutsche Bildungssystem integriert werden?

FIDES schlägt folgende Prioritäten vor:

  • In der gymnasialen Oberstufe sollte in den Fächern, in denen bereits wie z.B. „Seminarfach“, „Berufspraktika“ ein arbeitsorientierter Praxisinhalt und/oder ein Grundverständnis zu Wissenschaftliches Arbeiten vermittelt wird, eine Ergänzung um Lehrinhalte wie „professionelle Organisation der eigenen Arbeit“ (soweit noch nicht existent), „konstruktives Feedback-Verhalten im Verhältnis zu Führungskräften“, „Teambildung“ sowie ein knapper Gesamtüberblick über „konstruktive Führungsarbeit“ erfolgen.
  • Darauf aufbauend sollten die genannten Lehrinhalte in sämtliche Bachelor-Studiengängen integriert werden, hierzu bereits ergänzt um praktische Gruppenübungen, wie Führungsverhalten in einem Team konstruktiv und weniger konstruktiv gelebt werden kann usw..
  • In den Master-Studiengängen sollte eine weitere Vertiefung zum Themenkreis „konstruktives Verhalten am Arbeitsplatz, insbesondere aus Sicht der Führenden“ gelehrt werden. Erst auf diesem Niveau sollte u.E. der Gesamtinhalt des Lehrstoffs angestrebt werden, wie sich Führende so in der Teamleitung engagieren können, dass sowohl eine hohe Leistungskraft des Teams gefördert wird, als auch der Zusammenbruch Einzelner wirksam verhindert werden kann.

Praxisgerechtes Leitbild: Die kluge Führungskraft kümmert sich schon aus Eigeninteresse überdurchschnittlich um ihre Leute, weil nur so Spitzenleistung über längere Zeit wahrscheinlich wird und die Personalressourcen trotzdem erhalten bleiben und gefördert werden können.