Wertschätzung in der Führungsarbeit

Wertschätzung als bunt schillernder Begriff

Von Dr. Christian Marettek (FIDES-Leiter)

Nach welchen Grundsätzen gehen die Betriebe mit ihren MitarbeiterInnen um? Praktisch jedes Unternehmen und sogar die Verwaltungen und Vereine postulieren hierfür mittlerweile „Wertschätzung“! Obwohl der Begriff in aller Munde ist, sind die Betroffenen kaum davon überzeugt, dass die Wertschätzung der MitarbeiterInnen – jenseits aller Festtagsrhetorik – tatsächlich eine wichtige Rolle bei Unternehmensentscheidungen spielt. Anders können die extrem negativen Umfragewerte über die Glaubwürdigkeit der Topmanager nicht interpretiert werden.

Daher soll hier ein wenig praxisnäher am Begriff Wertschätzung gearbeitet werden. Zweifelsfrei ist der Begriff Wertschätzung nur dann mit Recht zu verwenden, wenn er tatsächlich in wesentlichem Umfang die Einstellungen der Führungskräfte prägt! Fast immer geht es doch zunächst um das Geld – also Umsatz und Gewinn, über was tatsächlich gesteuert wird.

In welchem Umfang doch in der Praxis Wertschätzung eine Rolle spielt, sei dahin gestellt. Hier soll kurz darüber nachgedacht werden, wie so etwas in der Führungspraxis funktionieren könnte – was im Idealfall in den Köpfen der Führungskräfte vorgehen müsste.

Wertschätzung zergliedert sich vereinfachend in

  • die Wertschätzung um der Leistung Willen: dafür werden die Mitarbeiter bezahlt (diese Form der Wertschätzung ergibt sich in der Sache, wenn die Einzelnen überdurchschnittliche Fähigkeiten haben, auf die die Firma angewiesen ist) und
  • die Wertschätzung um des Menschen Willen – das bedeutet, die Würde des anderen Menschen – gerade auch des problembehafteten, der durchschnittlichen oder sogar unterdurchschnittlichen Kollegen.

Wie kann diese zweite Form der Wertschätzung im Alltag unserer Leistungsgesellschaft von Führungskräften geachtet werden? Dies ist sicherlich in vielen Fällen ein gesellschaftliches Problem, das hier nur angerissen werden kann. Nach unserer Einschätzung (FIDES-Projektteam) sollte eine qualifizierte Managementforschung – die dem Phänomen der gelingenden Führung auf der Spur ist – auch diese Thematik nicht verdrängen. Bis zum gewissen Grad wirkt sonst auch gute Führungsarbeit in Richtung einer Verschärfung der „Zwei-Drittel-Gesellschaft“ wirkt (mit wohl unerträglich hohen gesellschaftlichen Nebenkosten, die auch durch Programme im Sinne des Corporate Social Responsibility der Firmen nicht ausgeglichen werden kann).

Wie kann Führung sowohl leistungsorientiert sein, aber auch den „Weniger-Leistungsfähigen“ – und damit deren Menschenwürde – gerecht werden?

Die folgenden Zeilen sind nur eine erste Meinungsäußerung für eine entsprechende praxisbezogene Führungseinstellung.  FIDES arbeitet weiter an einer adäquaten psychologischen Gesamtsicht von gelingender Führung, die auch gesellschaftlich positive Auswirkungen haben dürfte.


Wertschätzung praktisch: Reife Berücksichtigung der menschlichen Bedürfnisse in der konkreten Führungsarbeit

Zu den menschlichen Bedürfnissen vertiefend.

Natürlich heißt reife Führungsarbeit nicht, dass die/der Führende sein Handeln einfach nach den Bedürfnissen der/des Geführten ausrichtet. Das wäre falsch.

Falsch wäre es aber auch, wenn die/der Führende nicht die Bedürfnisse der/des Geführten wahrnehmen würde. Wenigstens ein gewisses Einfühlungsvermögen in die Gefühlslage der Kollegen (Empathie) sollte jede Führungskraft mitbringen bzw. anstreben.

Nur wenn die Führungskraft die Kollegen mit ihrer Persönlichkeit bestmöglich versteht, kann sie auch dazu beitragen, das Potential, das in jedem Mitarbeiter/jeder Mitarbeiterin steckt, wirksam zu heben – was dem Gedanken der Stärkennutzung bzw. des Empowerments entspricht und daher eigentlich im Interesse aller Beteiligten liegt (zumindest solange die Führungskraft sich bemüht, im Kollegenkreis für gerechte Interessensausgleiche zu sorgen).

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Dr. Christian Marettek (FIDES-Leiter): Wenn man verstehen will, warum z.B. Teambildung wichtig ist, ist es zweckmäßig, sich kurz mit den Bedürfnissen jedes arbeitenden
Menschen auseinanderzusetzen. Was führt dazu, dass Menschen eine bestimmte Arbeit gerne tun?

In der Psychologie spielen zu diesem Thema zwei Fachbegriffe eine wichtige Rolle: Motivation (Warum verhält sich ein Individuum so?) und Bedürfnisse (Was braucht das Individuum, um zufrieden zu leben?).

Die Motivationsforschung unterscheidet

  • extrinsische Anreize/Motivationen, die als Mittel zum Zweck der Bedürfnisbefriedigung dienen, wie z. B. finanzielle Anreize, andere positive oder negative Sanktionen, die von der Organisation gesetzt werden,
  • intrinsische Anreize/Motivationen, die in dem Arbeitenden selbst entstehen – der die Arbeit um ihrer selbst willen (z. B. für die Gruppe) tut – tragen zur unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung bei.“

Die hier vertretene Führungsphilosophie warnt jedoch vor einem Machbarkeitswahn oder einem stark instrumentellen Führungsverständnis. So als ob der Führende nur die Bedürfnisse des Geführten verstehen bräuchte und dann alles in seinem Sinne steuern könnte oder müsste.

Bei starker Instrumentalisierung werden die Betroffenen dies meist merken, so dass keine wirkliche, von Vertrauen und Wertschätzung bestimmte Beziehung entstehen kann.

Trotzdem sollte der Führende ein gutes Verständnis von der persönlichen Situation z.B. Motivationslage des Geführten haben.

Zu den Bedürfnissen des Menschen vgl. ausführlich diese Seite.

Weil in Europa die unmittelbare Existenzsicherung bei den meisten Menschen nicht mehr ein vorrangiges Lebensziel darstellt (die existentiellen Bedürfnisse also erfüllt sind) – treten offenbar immaterielle Werte, die mit der Arbeit in Verbindung gebracht werden, in den Vordergrund. In jedem Fall spielt die Qualität der menschlichen Beziehungen, die auf der Arbeit erlebt werden kann, offenbar eine große Rolle. Vgl. Marettek 2013, Wirksames Management für öffentliche Einrichtungen, S. 83ff.

Dies deckt sich auch mit Umfragen nach den Kriterien der Arbeitszufriedenheit:

Weit vor Geld komme der Wunsch nach Verantwortung, noch etwas bewegen zu können, nach einem Team guter Kollegen und nach Anerkennung durch die Vorgesetzten. Vgl. Giersberg 2009, Gute Manager sind Beziehungsmanager, FAZ vom 09.03.2012, S. 10.

Zum Thema „was treibt den Menschen“ formuliert Joachim Bauer, ein Neurobiologe und Arzt: Lohnend aus Sicht des Gehirns ist es, Vertrauen, soziale Wertschätzung und Kooperationsbereitschaft zu erleben.Vgl. Bauer 2012, Egoismus oder Altruismus?, Forschung und Lehre 2012, S. 48.

Aber auch Klemens Kalverkamp, ein erfolgreicher Vertreter des deutschen Mittelstands, kommt zu ähnlichen Erkenntnissen: „Die Bedürfnisse der Menschen, deren Existenz weitgehend gesichert ist, sind überall dieselben. Wertschätzung, Wohlbefinden, Ehrlichkeit, Integrität“ (diese Werte können nach seinen Erfahrungen durch eine langfristig ausgerichtete, beziehungsorientierte Mitarbeiterführung auch erreicht werden). Vgl. Kalverkamp 2009, Miteinander Ernten, S. 198.

Nach meiner Einschätzung (vgl. Marettek 2013, Wirksames Management für öffentliche Einrichtungen, S. 29) hat im Grunde die Mehrheit der Managementliteratur bereits erkannt, dass ein Manager langfristig nur Erfolg hat, wenn er persönlich bescheiden bleibt, eindeutig die Werte der Gemeinschaft vertritt und sich – für alle erkennbar – am Wohl der Gemeinschaft orientiert (d. h. der von ihm geführten Organisation) orientiert.
Verschiedene Autoren gehen noch einen Schritt weiter und formulieren die Hypothese, dass gerade ein dienender Führungsstil, der die Bedürfnisse der Mitarbeiter in reifer Weise berücksichtigt, langfristig besonders erfolgversprechend sein dürfte:

  • Jennings/Stahl-Wert 2007, Dienen lernen im Leadership
  • Kalverkamp 2009, Miteinander Ernten, Das Erfolgsgeheimnis des German Management, S. 198.
  • Maak/Pless 2006,  Responsible leadership, A relational approach, in: Maak, Thomas, Pless, Nicola M., (Etd.), Responsible Leadership, Oxon, New York 2006, S. 33–53.

Siehe ergänzend Stärkennutzung/Empowerment und Führen an der Leistungsgrenze.


Fazit: Woran sollte sich eine reife Führung hauptsächlich orientieren? 

In der Praxis geht es hauptsächlich um folgende vier Grundregeln (= Einstellungen):

  1. Die Basis jeder gelingenden Führung ist ein Mindestmaß an Vertrauen! Dabei geht es nicht um irgendetwas Herausragendes oder Illusionäres: es reicht das Vertrauen, dass das Gegenüber schon aus eigenem Interesse im Regelfall kooperieren wird. (Wenn dieses Grundvertrauen nicht existiert, läuft jedes Führungshandeln ins Leere bzw. wird sogar aus Misstrauen konterkariert).
  2. Die Führungskraft sollte „dran bleiben“ am anderen Menschen! Dies bedeutet im Gespräch bleiben (Ziel- und Feedback-Kultur, Beziehungsarbeit) – und dabei möglichst echtes Interesse für den anderen Menschen entwickeln. Im Idealfall versuchen, sie oder ihn immer besser kennen zu lernen.
  3. Das individuelle Potential des/der Kollegen, das in jedem Menschen steckt, als ein Geschenk sehen und intensiv daran arbeiten, dass jede/jeder Mitarbeiter das eigene Potential auch entfalten kann! (Stärkennutzung im Sinne des Empowerments) Dabei sollte die Führungskraft ausdrücklich auch das Potential der Leistungsschwachen realistisch sehen und adäquate Tätigkeiten für diese suchen.
  4. Sich dabei konsequent am Optimum für die Gemeinschaft orientieren und auch als Chef bescheiden bleiben.

Wenn man genauer hinschaut, dann wird durch die genannten vier Grundregeln eine im besten Sinne wertschätzende Einstellung der/des Führenden im Verhältnis zum Geführten zusammengefasst.